FRANZ XAVER SEPPELT-KLEMENS LÖFFLER, Papstgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Verlag Joseph Kösel & Friedrich Pustet, München, 1933, pp. 476-98.
Im Konklave, das am Freitag, den 31. Juli, begann, scharte sich die größte
Partei um den letzten Staatssekretär Leos XIII. Rampolla. Für ihn
waren, da er für sehr franzosenfreundlich galt, zunächst die sieben
französischen Kardinale, ferner die fünf spanischen, der portugiesische,
der belgische und zehn italienische, zusammen vierundzwanzig. Gegen ihn waren
einige Italiener, die
Österreicher, die Deutschen, der Holländer und der Amerikaner. Einen
bestimmten Kandidaten hatten aber die Gegner Rampollas nicht. Einige wollten
einen Kurialen gewählt wissen, weil er besser an die komplizierte Zentralverwaltung
gewöhnt sei, andere meinten, es sei Zeit, die politischen Bestrebungen
mehr zurücktreten zu lassen und einen “religiösen Papst”
zu wählen. In dieser Gruppe soll früh schon, freilich nur als ganz
unbestimmte Möglichkeit, der Name des Patriarchen von Venedig, Giuseppe
Sarto, genannt worden sein. Übrigens ist aus dem dritten Bande der Denkwürdigkeiten
des Fürsten Hohenlohe zu ersehen, daß man schon 1899 an ihn dachte.
Die erste Abstimmung am Sonnabend früh ergab für Rampolla 24, Gotti
(in der Presse als Kandidat des Dreibundes bezeichnet) 17, Sarto 5, Serafino
Vannutelli 4, Oreglia, Capecelatro, di Pietro je 2 Stimmen und für Agliardi,
Ferrata, Richelmy, Portanova, Cassetta, Segna je 1.
Am Sonnabend Abend waren für Rampolla 29, Gotti 16, Sarto 10, Richelmy
3, Capecelatro 2, S. Vannutelli und Segna je 1.
Am Sonntagmorgen (2. August), während die Kardinale ihre Stimmzettel schrieben,
erhob sich der Kardinalerzbischof von Krakau, Kniaz de Kozielsko Puzyna, um
im Namen des Kaisers von Österreich gegen Rampolla die Exklusive auszusprechen.
Der Kardinaldekan Oreglia antwortete, daß diese Mitteilung von dem Konklave
in keiner Weise angenommen werden könnte. Auch Rampolla beklagte in energischen
Worten diesen Angriff auf die Freiheit der Papstwahl und die Würde des
Heiligen Kollegiums, fügte aber bei, daß ihm persönlich nichts
angenehmer sei. Heute wissen wir, daß die italienische Regierung (Ministerpräsident
Zanardelli) das Veto erwirkt hatte.
Es übte nicht die erwartete Wirkung. Die Kardinale verurteilten es fast
alle, und die Freiheit der Wahl hat es nicht beeinträchtigt.
Bei der folgenden Abstimmung erhielt Rampolla 29, Sarto 21, Gotti 9 Stimmen,
am Abend Rampolla 30, Sarto 24, Gotti 3. Die übrigen 3 und 5 waren zersplittert.
Nicht an dem Veto, sondern an der unerschütterlichen Haltung ihrer Gegner
scheiterte die Kandidatur Rampollas. Seine Anhänger mußten nachgeben.
Sartos Stern stieg immer mehr. Der einflußreiche Satolli arbeitete für
ihn. Am Montag früh erhielt Sarto 27, Rampolla 24, Gotti 6, am Abend Sarto
35, Rampolla 16, Gotti 7, und am Dienstag Vormittag wurde Sarto mit 50 Stimmen
gewählt. Von den übrigen 12 erhielt Rampolla 10, Gotti 2.
Am Mittag des 4. August spendete der Papst zum ersten Male in St. Peter den
Segen. Ein Nobelgardist hatte ihn gebeten, es nach dem Wunsche des Volkes auf
der äußeren Loggia zu tun, und der Papst hatte es, ohne an die politische
Bedeutung zu denken, gern zugesagt. Oreglia machte aber auf die “ernsten
Folgen der Handlung” aufmerksam, und der Papst ließ sich ins Innere
führen, tat nach dem Beispiele Leos XIII. und übernahm die Rolle des
Gefangenen im Vatikan.
Joseph Melchior Sarto war am 2. Juni 1835 als ältester Sohn einer armen,
aber arbeitsamen Familie in Riese, einem heiteren Bauerndorfe in der fruchtbaren
oberitalienischen Ebene, zwischen Vicenza und Treviso, geboren. Sein Vater Johann
Baptist war Schneider und verwaltete nebenher die Gemeindedienerstelle und die
Postverteilung. Joseph erhielt beim Pfarrer Lateinunterricht, besuchte dann
von Riese aus mit seinem jüngeren Bruder Angelo die Lateinschule in dem
7 km entfernten
Castelfranco, zu deren besten Schülern er zählte, und bezog 1850 das
Seminar zu Padua, wo er noch vier Jahre in den Gymnasialfächern und in
Philosophie ausgebildet wurde und dann weitere vier Jahre Theologie studierte.
Am 18. September 1858 wurde er im Dome von Castelfranco zum Priester geweiht.
Dann war er neun Jahre Kaplan in Tombolo, seit 1867 Pfarrer und Erzpriester
in Salzano. In beiden Seelsorgeposten war er pflichteifrig, bescheiden, fromm,
menschenfreundlich und mildtätig. 1875 wurde Sarto Domherr und bischöflicher
Kanzler in Treviso und stieg dann in der Verwaltung des Bistums weiter empor
als Spiritual des geistlichen Seminars, Primicerius des Kapitels, Synodalexaminator,
Mitglied des kirchlichen Gerichts und Generalvikar.
1884 ernannte ihn Leo XIII. zum Bischof von Mantua. Die Diözese war damals
in keinem guten Zustande. Die Geistlichen waren schlecht gestellt und nachlässig
in ihren Pflichten; das Volk zum Teil der Kirche entfremdet, die höheren
Stande durch Freimaurertum und Liberalismus, die niederen durch den ferrianischen
Sozialismus, der gerade in Mantua vielen Anhang hatte. “Vielleicht der
größere Teil” ging nicht mehr zur Osterbeichte, Handwerker
und Bauern entweihten den Sonntag durch knechtliche Arbeit, die Fastengebote
waren fast außer Geltung, die Brautpaare begnügten sich mit der bürgerlichen
Eheschließung, Fluchen und Gotteslästerung war in aller Munde.
Da bewährte sich Sarto als der rechte Mann. An erster Stelle galt es, den
Klerus zu erneuern. Das fast verfallene Seminar erhob sich wieder. Für
eine Hauptpflicht seines Hirtenamtes sah er, wie seine bischöflichen Berichte
nach Rom von 1885, 1888 und 1891 zeigen, die Pflege der Predigt und die Belehrung
der Gläubigen an. Zweimal visitierte er seine Pfarreien, wobei er in allen
predigte, Beichte hörte, die Kommunion austeilte, firmte, Katechismusunterricht
gab und jeden anhörte. 1888 hielt er eine Diözesansynode. Den Klerus
leitete er durch strenge Verordnungen und Exerzitien zu seinen Aufgaben und
zu priesterlichem Wandel an und verschaffte ihm wieder Achtung. Alle, die ihn
kannten, auch Nichtkatholiken, rühmten an ihm unermüdliche und pflichttreue
Erfüllung seines Amtes, Arbeitskraft und Organisationstalent, Liebenswürdigkeit
und Jovialität. Das soziale Wirken führte ihn oft. auf die Rednerbühne.
Er war eifriger Forderer der
„Opera dei Congressi“.
Leo XIII, ernannte ihn am 12. Juni 1893 zum Kardinalpriester von S. Bernardo
alle Terme di Diocleziano und präkonisierte ihn am 15. Juni zum Patriarchen
von Venedig. Die Regierung versagte ihm zwar das Exequatur und sperrte ihm das
Gehalt, weil sie das Ernennungsrecht beanspruchte, duldete ihn aber stillschweigend.
Als König Umberto I. 1895 nach Venedig kam, begab sich Sarto zu ihm und
legte ihm offen dar, welche mißlichen Folgen das Fehlen der staatlichen
Bestätigung für beide Teile hatte. Der König war entzückt
und wußte nachher den Patriarchen nicht genug zu loben. Das Exequatur
wurde erteilt, als der Vatikan in der apostolischen Präfektur Erythräa
statt eines Franzosen einen Italiener ernannte. Zwar zurückhaltend, aber
doch versöhnlich und gewinnend trat der Patriarch auch später den
Staatsbehörden und dem Königshause gegenüber.
In seiner kirchlichen Tätigkeit war er auch in Venedig der gute Hirt, der
er in Mantua gewesen. Bildung, Disziplin und soziale Lage des Klerus hob er
durch Konferenzen, Exerzitien, monatliche „Selbsteinkehr“ und einen
Priesterverein. Das Seminar ergänzte er durch eine juristisch-kanonistische
Fakultät. Den Gottes dienst reinigte er von liturgischen Mißbrauchen
und drang auf die Pflege des gregorianischen Kirchengesanges. Auch hier nahm
er zwei Visitationen vor und hielt 1898 eine Diözesansynode ab.
Politisch war er, da das „Non expedit“ seine Gläubigen von
der staatlichen Vertretung ausschloß, bemüht, im Gemeindeleben den
kirchlichen Einfluß wiederzugewinnen. Er brachte zwischen seinen Anhängern
und den gemäßigt Liberalen eine Verbindung zustande, und diese konservative
Partei erlangte und behielt im Stadtrate die Oberhand. So konnte er seine Ziele,
den religiösen Schulunterricht und die öffentliche Armenpflege, erreichen.
Die Liberalen und Sozialisten nannten ihn dafür den „ränkevollen
Bauer” im Gegensätze zu seinem frommen Vorgänger. Für alles,
was das katholische Leben forderte, besonders Religionsunterricht, Predigt,
Presse, Vereinswesen war er unermüdlich besorgt. Soziale und karitative
Organisationen, wie die „casse rurali”, die sich unter seiner Mitwirkung
über ganz Italien ausbreiteten, und die “Opera dei Congressi “
erfreuten sich dauernd seiner tatkräftigen Hilfe. Seine eigene Liebe zu
den Armen und seine Wohltätigkeit waren grenzenlos. Trotz seiner 23000
Lire Gehalt und seiner erstaunlich bescheidenen Lebensführung war in seiner
Kasse immer Ebbe, weil er alles weggab. Er soll bei den Juden geborgt und einmal
einige Tage seinen Bischofsring versetzt haben. „Als Papst würde
er den Vatikan verschenken, wenn er könnte“, hat Maestro Perosi gesagt.
Aus dem Wirken des Bischofs und Patriarchen Sarto ergibt sich das Programm und
die Richtung des Papstes Pius X.
In der Inthronisationsenzyklika vom 4. Oktober 1903 (E supremi apostolatus
cathedra) bezeichnete er als leitendes Ziel seines Waltens, „alles in
Christo zu erneuern (instaurare omnia in Christo), auf daß Christus alles
in allen sei“. „Es wird nicht an Leuten fehlen, die, das Göttliche
mit dem Maßstabe des Menschlichen messend, die Absichten Unseres Inneren
zu ergründen und im Sinne weltlicher Bestrebungen und Parteiziele zu deuten
suchen. Solche eitlen Hoffnungen möchten wir von vornherein mit der allerbestimmtesten
Versicherung abschneiden, daß wir nichts sein wollen und mit Gottes Hilfe
vor der menschlichen Gesellschaft nichts sein werden als der Diener Gottes,
in dessen Namen wir walten“.
Der Weg zu Christus, sagt der Papst weiter, führt durch die Kirche.
In diese Heilsanstalt muß die menschliche Gesellschaft, die von der Lehre
Christi abgeirrt ist, zurückgerufen werden. Ihre Lehren über die Heiligkeit
der Ehe, die Erziehung und Unterweisung der Kinder, über den Besitz und
Gebrauch der Güter, über die Pflichten gegen die Obrigkeit müssen
wieder größere Geltung erlangen. Zwischen den verschiedenen Ständen
ist nach christlicher Sitte und Satzung ein Ausgleich herzustellen. Das erste
Mittel zur Bewältigung dieser Aufgaben ist die Bildung und Erziehung eines
Klerus, der “Christus in sich selbst gestaltet haben muß, wenn er
ihn in anderen gestalten soll“. Ein anderes ist der Religionsunterricht;
denn „zahlreiche hassen Christus und schrecken vor Evangelium und Kirche
zurück mehr aus Unwissenheit als aus Bosheit”. Die erhoffte Frucht
eifriger Lehrtätigkeit zur Reife zu bringen, ist nichts so mächtig
wie die Liebe. „Wenn man auf die Irrtümer zu hart schilt und die
Fehler zu heftig tadelt, so schadet diese Strenge und Härte oft mehr, als
sie nützt. ...Wie ist der Herr so mild, so langmütig, so erbarmungsreich“.
Als Helfer des Klerus sind die katholischen Vereine willkommen, aber mit schönen
Reden und Erörterungen allein ist es nicht getan, die Zeit verlangt Taten.
Am Schlusse ist auch die römische Frage gestreift, aber unverkennbar ohne
Zorn und Eifer, so daß man fast gar nicht merkt, daß es politisch
gemeint ist: “In allen wird die Überzeugung erwachen, daß die
Kirche als Gründung Christi volle und ganze Freiheit genießen muß
und keiner andern Herrschaft unterworfen sein darf, daß Unser Kampf für
diese Freiheit nicht nur die Verteidigung der heiligsten Rechte der Religion
bedeutet, sondern auch für das gemeine Wohl und die Sicherheit der Volker
ein Schutz ist.”
Die Hauptsorge und Tätigkeit des Papstes ist den Reformen des innerkirchlichen Lebens und der kirchlichen Verfassung und Verwaltung zugewandt gewesen. Die Seelsorge war ja von jeher sein eigentliches Wirkungsfeld; in ihr war er von Stufe zu Stufe emporgestiegen, mit ihren Bedürfnissen war er aufs beste bekannt. Unter Leo XIII. sind zwar auch einige Ansätze zur Verbesserung der kirchlichen Zustande gemacht worden, aber seine eigentlichen Verdienste liegen doch auf anderem Gebiete. Der ehrliche und freimütige Franzose Justin Fèvre sagt: „Leo XIII. war der Papst der Könige, der Kaiser, der Hofe, der Kanzleien, der Bischöfe, … Pius X. ist der Papst der Theologie und des kanonischen Rechts, der Papst der Kleinen, der Armen und der Pfarrer.“
Der Papst begann mit der Reform der Kirchenmusik, die, besonders in Italien,
der Würde des Gotteshauses wenig entsprach: Das Motu proprio „Inter
sollicitudines“ vom 22. November 1903 stellt, von den obersten liturgischen
und musik-ästhetischen Grundsatzen ausgehend, ein „Grundbuch der
Kirchenmusik“ mit umfassenden und ins einzelnste Vorschriften auf. Der
eigentliche Gesang der römischen Kirche ist der alte traditionell-gregorianische
Gesang, der daher bei den gottesdienstlichen Handlungen in weitem Umfang wieder
seinen Platz erhalten muß. Auch die klassische Polyphonmusik, wie sie
Palestrina ihrer höchsten Vollendung zugeführt hat, soll reichlich
verwendet werden.
Bei den modernen Kirchenmusikalischen Kompositionen ist zu prüfen, ob sie
nicht Profanes, keine Anklänge an Motive von Theaterstücken enthalten
und in ihren äußeren Formen nicht dem Gang von profanen Stücken
nachgebildet sind. Die Musik ist nur ein Teil der Liturgie und ihre bescheidene
Magd. Die Liturgie darf nicht als sekundär und gleichsam im Dienste der
Musik stehend erscheinen. Die Beobachtung des Dekrets ist am 8. Januar 1904
von der “Ritenkongregation allen katholischen Kirchen des Erdkreises auferlegt
worden.
Die Liebhaber der früheren profanen und theatralischen Weisen klagten freilich
über den Greuel der Verwüstung in den römischen Kirchen und nannten
den Papst einen zweiten Savonarola. Eine neue Ausgabe der liturgischen Bücher
mit den gregorianischen Weisen wurde durch das Motu proprio vom 25. April 1904
angeordnet und die Redaktion der gesanglichen Teile den französischen Benediktinern
von Solesmes übertragen. Auch gründete der Papst eine Hochschule für
Kirchenmusik.
Sein Amt als Bischof von Rom wollte der Papst mit einer Kirchenvisitation beginnen.
Seit dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts hatte dort keine stattgefunden.
Am liebsten hatte er sie selbst vorgenommen, aber die “Gefangenschaft
im Vatikan “ hinderte ihn natürlich daran, und er mußte seinen
Generalvikar Kardinal Respighi und eine Reihe hervorragender Prälaten damit
betrauen.
Bald erweiterte er sein Programm und ordnete eine apostolische Visitation sämtlicher
Diözesen Italiens an.
In der Instruktion vom 3. März 1904 gab er den Visitatoren bis aufs kleinste
an, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hätten. Die Visitation vollzog
sich zwar formlos und im stillen, ohne jede Feierlichkeit, aber sie wurde nicht
als Formalität, sondern mit Ernst und Strenge vorgenommen und hatte mehrere
Absetzungen im Gefolge.
Teils zusammen mit dieser Visitation, teils unabhängig von ihr, nahm Pius
X, nun auch die dringend notwendige Umformung der Diözesanseminare und
Ihres Unterrichts vor. Da Italien viel zu viele (etwa 300) Seminarien hat, so
ist ein großer Teil nicht nur schwach besucht, sondern noch mangelhafter
mit Lehrkräften ausgestattet. Fielen doch 1879 durchschnittlich nicht einmal
drei Professoren der Theologie auf jedes Seminar, 52 hatten nur einen Professor,
76 nur zwei. Daher sind jetzt mehrere Seminarien in ein interdiözesanes
oder Regionalseminar verschmolzen worden.
Die Studienordnung der Seminarien wurde am 10. Mai 1907 einheitlicher gestaltet
und verbessert. Die noch bessere und auch vom Papste gewünschte Neuordnung
und Verminderung der italienischen Diözesen, die dadurch einen größeren
Umfang bekommen würden, scheiterte dagegen an den Schwierigkeiten.
Als Ergänzung wurde am 18. Januar 1908 eine ausführliche Seminarordnung
für die italienischen Bistümer erlassen mit einer Lebens- und Hausordnung
für die Seminaristen. Es ist sicher, daß der Papst mehr als bloß
äußerlichen Anteil daran hatte. Seine tiefe Religiosität und
sein zugleich liebevoller und strenger Geist sprachen daraus, und er hat hier
ohne Zweifel seine Erfahrungen in Treviso, Mantua und Venedig fruchtbar gemacht.
Die von Leo XIII. gegründete Kommission für den Vorschlag geeigneter
Bischofskandidaten vereinigte Pius am 7. Dezember 1903 mit der Kongregation
des heiligen Offiziums, der er selbst präsidierte, um ihre Wichtigkeit
noch mehr zu betonen und sie unter eigene Kontrolle zu nehmen.
Eine Lieblingsidee aus früherer Zeit, die er schon 1888 in einem Bericht
ausgesprochen hatte, verwirklichte er mit dem Einheitskatechismus für die
Kirchenprovinz Rom, der am 14. Juni 1905 für obligatorisch erklärt
wurde.
Ein sehr wichtiges Unternehmen, das allein genügt, um den Namen des Papstes
zu verewigen, ist die Vereinheitlichung, Vereinfachung und Kodifikation des
Kirchenrechts und die Schaffung eines Codex juris canonici. Am 19. März
1904 kündigte er durch das Motu proprio „Arduum sane“ diesen
Plan an, indem er freimütig aussprach, daß die jetzige Verfassung
der Kirchenrechtes nicht die Anforderungen erfüllt, die an ein praktisches
Gesetzbuchgestellt werden müssen; „denn die Masse der Sammlungen
bereitet eine nicht geringe Schwierigkeit. Im Laufe der Jahrhunderte sind sehr
zahlreiche Gesetze erflossen, die in vielen Sammlungen aufgehäuft sind;
nicht wenige Gesetze, die einstens für ihre Zeit passend waren, sind aufgehoben
oder veraltet; endlich finden sich auch manche, die wegen der veränderten
Zeitumstände nur schwer ausführbar oder dem allgemeinen Nutzen der
Seelen weniger förderlich sind.“
Nach dem Erlaß des Dekretalienbuches Klemens’ V. im Jahre 1314,
also nach einer Zeitspanne von 600 Jahren, wurde endlich wieder ein authentisches,
allgemeines und einheitliches Gesetzbuch für die katholische Kirche des
römischen Ritus in Angriff genommen; nachdem frühere Kodifizierungsversuche
nicht zum Ziel gelangt waren. Eine Kommission von Kardinalen und „Konsultores“,
Vertretern der theologischen und kanonistischen Wissenschaft, bereitete die
Ausgabe vor. Sekretär, später Vorsitzender war der Kardinal Pietro
Gasparri, der einen großen Teil der Arbeit leistete.
Als ihm die Mitglieder der Kodifikationskommission das erste Mal vorgestellt
wurden, sagte der Papst, er verlange nicht, daß er selber noch die Herausgabe
des neuen Codex juris erlebe.
Nicht schnelle, sondern gute Arbeit wünsche er.
Einige wichtige Vorarbeiten traten aber schon in den nächsten Jahren in
Kraft: das Dekret „Ne temere“ über die Form der Verlöbnisse
und Eheschließungen vom 2. August 1907 und die Konstitution „Sapienti
consilio“ vom 29. Juni 1908 über die Neuorganisation der römischen
Kurie.
Die Reform der römischen Kurie war schon längst ein dringendes Bedürfnis.
Die früheren Päpste haben es aber bei einzelnen Verbesserungen gelassen.
Erst Pius X. hat seit der Begründung der Kardinalskongregationen durch
Sixtus V. (1587) die erste Gesamtrevision vorgenommen..
„Die Kurie glich einem alterwürdigen Baume, den manche morsche Äste
und Zweige entstellen, die Entwicklung der frischen behindernd“.
Die Kompetenzgrenzen waren verwischt, manche Kongregationen mit Geschäften
überlastet, die Beamtenstellen anderer reine Sinekuren. Die neue Kurialverfassung
vermindert die Zahl der Kongregationen, umschreibt die Geschäfte und verteilt
sie möglichst gleichmäßig, trennt Justiz und Verwaltung, schafft,
um dem Protektionsunwesen zu steuern, ein wirkliches Beamtenrecht und verbessert
das Taxenwesen durch Einschränkung der übermäßig hohen
Gebühren und Ermäßigung für Arme.
Eine zeitgemäße Ergänzung zu der Kurialreform war die Schaffung
eines eigenen Amtsblattes, der „Acta apostolicae sedis“, das seit
1. Januar 1909 die päpstlichen Konstitutionen und die Erlasse der römischen
Kurialbehörden veröffentlicht.
Zu den Vorarbeiten der Kodifikation des Kirchenrechts können auch die neuen
Gesetze über die Papstwahl gerechnet werden. Es sind zwei Konstitutionen.
Die eine, “Commissum nobis” vom 20. Januar 1904, richtete sich gegen
das Veto der Exklusive. Keine weltliche Macht soll sich in die Papstwahl einmischen.
Unter Androhung der Exkommunikation wurde allen Kardinälen und sonstigen
Konklaveteilnehmern strengstens verboten, den Auftrag zu einem Veto anzunehmen
und dem Kollegium oder einem einzelnen Kardinal zur Kenntnis zu bringen. Die
andere, “Vacante sede apostolica” vom 25. Dezember 1904, faßte
die bestehenden Vorschriften über die Vakanz des Heiligen Stuhles und die
Papstwahl, wie sie in Erlassen Pius’ IV., Gregors’ XV., Klemens’
VII., Pius’ IX. enthalten sind, zusammen und fügte einige geeignete
neue Bestimmungen hinzu.
Vorarbeiten für die Neukodifikation waren weiter die Dekrete der Konsistorialkongregation
vom 3. Dezember 1909 über die Berichte der Bischöfe über ihre
Diözesen und die visitatio liminum und vom 20. August 1910 über die
administrative Entfernung des Pfarrers aus seinem Amte, die neue Prozeßordnung
der Rota, die der Papst am 2. August 1910 bestätigt hat, und das Motu proprio
„Supremi disciplinae“ vom 2. Juli 1911 über die Verminderung
der Feiertage.
Tiefgreifende Veränderungen nahm der Papst durch sein Motu proprio vom
Jahre 1910 und die Bulle “Divino afflatu” am Brevier vor. Die Zahl
der gebotenen Feiertage wurde beschrankt, die langen Sonntags- und Ferialoffizien
wurden verkürzt und die Psalmen so auf die einzelnen Tage verteilt, daß
alle 150 im Laufe der Woche an die Reihe kommen.
Die von Leo XIII. eingeführten Votivoffizien wurden für die Gesamtkirche
abgeschafft, die Sonntagsoffizien des Meßbuches und Brevieres wieder in
ihre das Kirchenjahr beherrschende Stellung eingesetzt. Heiligenfeste dürfen
an Sonntagen nur „kommemoriert“ werden, außer Hauptfeste der
Mutter Gottes, die Feste der Apostel, der Kirchen- und Ordenspatrone. Eine weittragende,
eine neue christozentrische Orientierung des kirchlichen Gebetslebens bedeutende
Reform.
Wie Leo XIII., so hat auch sein Nachfolger mehrfach seine Stimme erhoben, um
über das in unseren Tagen so heiß umstrittene Bibelstudium Belehrungen,
Mahnungen, Warnungen und Ermunterungen zu erteilen. Das apostolische Schreiben
„Quoniam in re biblica“ vom 27. März 1906 betont die Wichtigkeit
des Bibelstudiums für die Theologie der Gegenwart und gibt dann in achtzehn
Artikeln eine sehr eingehende Anweisung über den Betrieb des Schriftstudiums
an den Seminarien und Universitäten.
Der Papst fordert darin nicht nur ein Mehr dem Umfange nach, sondern auch eine
gründlichere Behandlung dieser Disziplin mit Berücksichtigung der
modernen philologischen und historischen Forschung. Schon vorher, am 23. Februar
1904, hatte er der Bibelkommission, um tüchtige Lehrer zu gewinnen, das
Promotionsrecht verliehen und in einem Schreiben an den Bischof Le Camus vom
11. Januar 1906 vor den Exzessen der Kritik gewarnt, aber auch - zum erstenmal
- den fortschrittsfeindlichen Ultrakonservatismus mißbilligt. „In
derselben Weise, wie man die Verwegenheit derjenigen ... verurteilen muß,
die sich verleiten lassen, ... auf kritische Prozesse von einer ausschweifenden
Freiheit zu rekurrieren, geziemt es sich auch, die Stellung derjenigen zu mißbilligen,
die auf keine Weise wagen, mit der bis vor kurzem herrschenden Schriftexegese
zu brechen, auch wenn unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens der weise
Fortschritt der Studien sie einlädt, es herzhaft zu tun.“
Für positive Arbeit auf dem Gebiete der Bibelforschung hat endlich Pius
X. am 7. Mai 1909 das päpstliche Bibelinstitut gegründet. Seine Richtung
soll sich auf einer mittleren Linie zwischen konservativen und gesunden fortschrittlichen
Gedanken bewegen. Zum Rektor wurde der Innsbrucker Professor P. Leopold Fonck
berufen.
Die Disziplin und die Standespflichten des Klerus hatten schon dem Bischofe
und Patriarchen besonders am Herzen gelegen. Auch als Papst hat er seine geistlichen
Söhne wiederholt angeregt und ermahnt. Dem römischen Klerus legte
er am 27. Dezember 1904 die Pflicht auf, wenigstens alle drei Jahre Exerzitien
zu machen. In dem strengen Rundschreiben an die italienischen Bischöfe
vom 28. Juli 1906 schärfte er den Geistlichen den kanonischen Gehorsam
gegen ihren Diözesanbischof ein.
Am fünften Jahrestage seiner Wahl, dem 4. August 1908, erließ er
das Pastoralschreiben “Haerent animo”, ein Gegenstück zu seiner
ersten Enzyklika, an alle katholischen Priester. Er zeigt darin im einzelnen,
welche Mittel die für ein ersprießliches Wirken unerläßliche
Verinnerlichung des priesterlichen Lebens zu fördern und zu gewährleisten
imstande sind. Leitgedanke ist, daß mit Beharrlichkeit und Tatkraft Christus
in denen gebildet werden müsse, die Ordnungsmäßig dazu bestimmt
sind, Christum in den anderen zu gestalten. Die Priester sollen nach einem frommen
und heiligen Wandel streben, Gebet und Betrachtung pflegen, fromme Lesung betreiben,
häufig ihr Gewissen erforschen, Exerzitien und monatliche Übungen
machen und sich zu Vereinen zusammenschließen, die den Mitgliedern Unterstützungen
gewahren, feindliche Angriffe abwehren, die Studien und seelsorglichen Aufgaben
fordern.
Auch der religiöse Unterricht ist eine Hirtensorge, die den Papst von jeher
beschäftigt hat. Seinen Wert und seine Bedeutung hatte er in seiner ersten
Enzyklika betont und dann weiter umschrieben in der Enzyklika „Acerbo
nimis“ vom 15. April 1905. Als die erste Pflicht des Hirtenamtes bestimmte
er das Lehren und stellt als einheitliche Norm sechs Regeln auf über die
Unterweisung der Jugend, die Vorbereitung zu den Sakramenten, die Errichtung
einer „Kongregation der christlichen Lehre“ in jeder Pfarrei, die
Gründung von eigenen Religionsschulen in größeren Städten
und den „großen Unterricht“ für die Erwachsenen. Die
Enzyklika hatte zunächst italienische Verhältnisse im Auge.
Von den pastoralen Erlassen ist endlich noch das Dekret der Konzilskongregation
vom 20. Dezember 1905 über den öfteren und täglichen Empfang
der heiligen Kommunion zu nennen. Der Papst sieht darin ein wirksames Mittel
zur Förderung des religiös-sittlichen Lebens und der christlichen
Vollkommenheit und ließ deshalb entgegen jansenistischer Verschärfung
die älteren Bestimmungen der Kirche wieder in Kraft setzen. Eine Ergänzung
dazu war das Dekret der Sakramentskongregation vom 8. August 1910 über
das Alter, in dem die Kinder zur ersten heiligen Kommunion zuzulassen sind.
Dies wurde, ebenfalls in Obereinstimmung mit der älteren Lehre und Praxis,
auf „ungefähr das siebente Jahr, unter Umständen später
oder früher“, festgesetzt, wobei die Unterschiede in der Entwicklung
der Kinder in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen wären.
Neben der Pflege des religiösen Lebens sah Pius X. die Abwehr der Gefahren, die der Reinheit des Glaubens drohten, als seine Hauptaufgabe an. Seine Kundgebungen gegen den Modernismus sind die bedeutungsvollsten seines Pontifikats und sind besonders lebhaft, ja erregt erörtert worden.. Am 17. April 1907 forderte der Papst in einer Allokution mit bemerkenswerter Schärfe zur Bekämpfung des „neo-reformismus religiosus“ auf, der nicht mehr bloß eine einzelne Häresie, sondern der gedrängte Abriß und das Gift aller Häresie sei, und ermahnte am 6. Mai die bischöflichen Protektoren der katholischen Universität in Paris zu festem Anschluß an die Scholastik und am 7. Mai den Generaloberen der Dominikaner, der dünkelhaften Kritik der Moderne an der Hand der thomistischen Lehre entgegenzutreten.
Am 3. Juli wurde das Dekret „Lamentabili“ der Inquisition mit dem neuen Syllabus von 65 religiösen Irrtümern beschlossen. Am 28. August erging eine Anweisung der Inquisition, die von solchen Irrtümern angesteckten Geistlichen, die irgendwie oder irgendwo als Lehrer oder Jugenderzieher angestellt seien, aus ihren Ämtern zu entfernen.
Am 3. Juli wurde das Dekret „Lamentabili“ der Inquisition mit dem
neuen Syllabus von 65 religiösen Irrtümern beschlossen. Am 28. August
erging eine Anweisung der Inquisition, die von solchen Irrtümern angesteckten
Geistlichen, die irgendwie oder irgendwo als Lehrer oder Jugenderzieher angestellt
seien, aus ihren Ämtern zu entfernen.
Vom 8. September ist die Enzyklika „Pascendi“ über den Modernismus
datiert. Das Motu proprio vom 18. November wiederholte und bekräftigte
den Syllabus und die Enzyklika, fügte die Strafandrohung der Exkommunikation
hinzu und ermahnte die Bischöfe dringend zur Wachsamkeit und zur Ausführung
der Abwehrmaßregeln.
Die ersten acht Sätze des Syllabus enthalten eine Reihe von Angriffen auf
das kirchliche Lehramt und dessen verpflichtende Kraft. Die Sätze 9-19
sind Aufstellungen der biblischen Exegese, die den göttlichen Ursprung
der Schrift leugnen, 20-26 Konsequenzen daraus, die den Begriff der Offenbarung
umzudeuten suchen, 27-38 Negationen der wichtigsten Dogmen, der Gottheit Christi,
seines übernatürlichen Wissens, seines messianischen Bewußtseins,
des Sühnecharakters seines Leidens und Sterbens, seiner leiblichen Auferstehung.
Die Sätze 39-51 leugnen die göttliche Einsetzung und Wirksamkeit der
Heilsmittel, besonders der Sakramente, und 52-63 bestreiten die Gründung
der Kirche und des Papsttums durch Christus und bekämpfen die Einrichtung
und Tätigkeit der Kirche. Die letzten beiden Sätze endlich verlangen,
daß die Kirche „die Begriffe der christlichen Lehre von Gott, Schöpfung,
Offenbarung, Person des fleischgewordenen Wortes, Erlösung reformiere”
und daß der Katholizismus, um mit der wahren Wissenschaft vereinigt werden
zu können, in eine Art undogmatischen Christentums umgestaltet werde. Diese
Aufstellungen sind größtenteils den 1903 auf den Index gesetzten
Schriften Loisys und anderer französischer Autoren entnommen.
Die Enzyklika „Pascendi“ ist größtenteils ein Kommentar
zum Syllabus, geht aber sachlich über ihn hinaus, indem sie „sich
in höchst ausführlicher Art gegen den Modernismus wendet und diesen
wissenschaftlich zu analysieren, theoretisch zu widerlegen und gesetzgeberisch
zu überwinden sucht “. Sie zerfällt in einen theoretischen Teil,
der das modernistische System darlegt und kritisiert, und in Abwehrmaßregeln.
Als die philosophischen Grundpfeiler der Irrlehren werden bezeichnet der Agnostizismus,
der den Verstand auf die äußeren Erscheinungen einengt und behauptet,
der Mensch könne durch seine Vernunft vom Übernatürlichen nichts
erkennen, und die vitale Immanenz, nach der die Religion lediglich als Innenleben,
das von Gefühlen und inneren Bedürfnissen des Menschen geleitet wird,
erscheint. Das Innewerden des Bedürfnisses nach dem Göttlichen nennt
der Modernist Glauben und Anfang der Religion. Der Verstand tritt erst nachträglich
hinzu, durchleuchtet die Gefühlslinien und dringt allmählich zu schärferen
Sätzen vor, die, vom kirchlichen Lehramte festgelegt, Dogmen heißen.
Diese sind also natürlich entstanden und veränderlich. Die Evolution
ist überhaupt die Krönung der modernistischen Lehre: Glaube, Dogma,
Sakramente, Kultus, Kirche, alles entwickelt sich.
Glaube und Wissen werden völlig getrennt. Phänomene gehören nur
so weit ins Gebiet des Glaubens, als er sie über die Wirklichkeit hinaus
verklärt und durch ungeschichtliche Zusätze entstellt, z. B. das Leben
Jesu. Daher die Unterscheidung zwischen dem Christus der Geschichte und dem
Christus des Glaubens. Die Wunder und die Auferstehung Christi werden von der
Wissenschaft geleugnet, vom Glauben aber bejaht, da der Glaubende das Leben
Jesu aufs neue durch den Glauben und in dem Glauben erlebt sieht.
Der modernistische Glaube, die modernistische Theologie, Geschichtsauffassung,
Kritik, Apologetik und Reform werden in der Enzyklika im einzelnen gekennzeichnet
und in einem “Rückblick” kritisiert.
Im letzten Teile werden scharfe und mit Beunruhigung aufgenommene Maßregeln
angeordnet: Absetzung al1er irgendwie verdächtigen Professoren und Lehrer
an kirchlichen Anstalten, Zurückweisung verdächtiger Kandidaten von
den Weihen, das Verbot, daß Zöglinge kirchlicher Lehranstalten Vorlesungen
über Fächer, die dort vertreten sind, an staatlichen Anstalten hören,
weiterer Ausbau der kirchlichen Bücherzensur und des Bücherverbots,
Errichtung einer ständigen Überwachungsbehörde (consilium vigilantiae)
in jeder Diözese, deren Aufgabe es sein soll, überall den Anzeichen
und Spuren des Modernismus nachzuforschen und die Aufmerksamkeit auch auf “Neuerungssucht
im Ausdruck” auszudehnen, Beschränkung der Priesterkongresse und
periodische, eidlich erhärtete Berichte der Bischöfe an den apostolischen
Stuhl.
In Italien ist gegen den Modernismus energisch vorgegangen worden.
Auch sein letztes Organ, der Rinnovamento, verstummte, und der römische
Theologieprofessor Mannucci glaubte 1909 schon sagen zu können, daß
man von theologischem Modernismus nicht mehr rede. Die Häupter der Bewegung,
Murri und Minocchi, haben sich von der Kirche losgesagt, und eine Reihe von
Priestern und Ordensleuten ist ihnen gefolgt.
Dann aber wurde, wie die „Civiltà cattolica“ zu berichten
wußte, wieder eine ganze Flut von modernistischen Broschüren verbreitet,
und der „Corriere della Sera“ erzählte, es bestehe eine modernistische
Geheimorganisation, die Seminarien führten eine geheime, Korrespondenz
zu modernistischen Zwecken, und in einigen würden Blätter mit Handdruck
hergestellt.
Gegen diese Propaganda waren die radikalen Maßregeln gerichtet, die der
Papst in dem Motu proprio „Sacrorum antistitum“ vom 1. September
1910 anordnete. Die disziplinären Vorschriften aus der Enzyklika „Pascendi“
werden wörtlich wiederholt und unter Gewissensstrafe bekräftigt und
eingeschärft. Für die Seminaralumnen und Priesterkandidaten werden
dann noch einige neue Bestimmungen beigefügt.
Die Bischöfe und Seminarleiter sollen ihre Studien und ihre Vorbereitung
streng überwachen. Damit sie „ihre Zeit nicht mit anderen Beschäftigungen
verlieren und vom Hauptstudium abgezogen werden“, verbietet der Papst,
daß „Zeitungen und Zeitschriften, und seien sie auch noch so gut,
überhaupt von ihnen gelesen werden“. Die Professoren der geistlichen
Bildungsanstalten haben ihre Vorlesungen oder die Thesen dafür dem Bischofe
vorzulegen. Ihre Lehrweise ist streng zu überwachen. Weicht sie von der
gesunden Doktrin ab, so sind sie sofort zu entfernen. Auch müssen sie dem
Bischofe einen im Wortlaut vorgeschriebenen, gegen die modernistischen Irrtümer
gerichteten Eid ablegen. Den selben Eid hat auch der gesamte Seelsorgeklerus
mit höheren Weihen zu leisten.
Auch die Borromäus-Enzyklika (“Editae saepe”, vom 26. Mai
1910), die zum Teil ebenfalls die Modernisten (als falsche Reformatoren) behandelt,
hat viel Aufsehen gemacht, nicht so sehr wegen ihres Gesamtinhaltes und ihrer
Absicht als wegen einer einzelnen Stelle, durch die sich die Protestanten beleidigt
fühlten. In entstellter und verschärfter Übersetzung rasch bekannt
geworden, entfachte sie einen Entrüstungssturm und führte zu parlamentarischen
Interpellationen, Kundgebungen der protestantischen Kirchenbehörden und
diplomatischen Aktionen. Der Papst ist dann den um den konfessionellen Frieden
besorgten deutschen Regierungen weit entgegengekommen, indem er die deutschen
Bischöfe anwies, die amtliche Publikation zu unterlassen.
Die Enzyklika ist dem Andenken des hl. Karl Borromäus gewidmet, der als
unermüdlicher Vorkämpfer und Berater der wahren Reform allen, die
an der Erneuerung der Welt in Christus aufrichtig mitarbeiten, besonders tröstlich
und lehrreich sei. Indem der Papst den Unterschied zwischen wahren und falschen
Reformatoren zeigt, weist er besonders hin auf die Sorge für die Reinerhaltung
des Glaubens, auf die Wichtigkeit der christlicher Unterweisung zumal gegenüber
der sogenannten neutralen Laienschule, auf die gewissenhafte Verwaltung des
Predigtamtes, auf die katholische Aktion, die alle Werke christlicher Barmherzigkeit
umfaßt.
Gegen die Politik zeigte der Papst anfangs eine Abneigung, die fast etwas demonstrativ
wirkte. Aber sie konnte ihm so wenig wie einem anderen Papste erspart bleiben,
und als er nach langem Zögern zu seinem Staatssekretär den verhältnismäßig
jugendlichen Msgr. Raffaele Merry del Val (geb. 1865 in London als Sohn eines
spanischen Diplomaten von altem Adel) ernannte, erklärte er in der Allokution
vom 9. November 1903, jeder billig Denkende müsse einsehen, daß der
Papst von seinem Lehramte, das über Glauben und Sitten entscheidet, das
Gebiet der Politik nicht ausschließen dürfe.
Die nächste und schwierigste Aufgabe stellte die Lage der Kirche in Frankreich.
Leo XIII. hinterließ sie in beklagenswertem Zustande. Bei der brutalen
Behandlung der Orden blieb es nicht, sondern noch zu Lebzeiten des Papstes wurde
die Trennung von Staat und Kirche in Aussicht genommen. Trotzdem hatte sich
der greise Papst in seiner Langmut zu keinem offiziellen Einspruch gegen die
kirchenfeindliche Politik seines früheren Schoßkindes entschließen
können.
Sein Nachfolger nahm zu ihr zum ersten Male Stellung in der Allokution vom 18.
Marz 1904 und beklagte sich bitter über die Maßregeln gegen die religiösen
Genossenschaften und über die neue Gesetzesvorlage gegen jedweden Unterricht
der religiösen Institute. Nachdem es wegen des Besuches des Präsidenten
Loubet beim Könige von Italien zum Streit und zum Abbruch der diplomatischen
Beziehungen gekommen war, wurde am 9. Dezember 1905 die Trennung von Staat und
Kirche Gesetz. Der Papst hatte schon in der Allokution vom 27. März 1905
die Vorlage als ein Unglück für Frankreich bezeichnet, nahm dann feierlich
in der Enzyklika „Vehementer nos“ vom 11. Februar 1906 Stellung,
verwarf das Gesetz und verbot am 10. August 1906 durch die Enzyklika „Gravissimo
officii“ die Bildung von Kultusgemeinschaften, wie sie das Gesetz vorschreibt.
Ebenso wurden die „zugleich gesetzlichen und kanonischen“ Kirchenverwaltungsvereine,
wie sie ein Teil der französischen Bischöfe angeregt hatte, verworfen,
so lange nicht die unveränderlichen Rechte des Papstes und der Bischöfe
und ihre Gewalt über die Kirchengüter und Gotteshäuser gesichert
sei. Die Bischöfe sollen auf der Grundlage des gemeinen Rechts, das jedem
Bürger die freie Betätigung seiner Religion garantiert, die Ausübung
des Gottesdienstes organisieren.
Als dann der Kultusminister Briand die gottesdienstlichen Versammlungen (réunions
cultuelles) unter das Versammlungsgesetz von 1881 stellte und mit einer einmaligen
Anmeldung für das Jahr zufrieden sein wollte, verbot der Papst auch die
Anmeldung und befahl, die Messen ohne sie fortzusetzen. Die Regierung antwortete
darauf mit dem zweiten Trennungsgesetze vom 2. Januar 1907. Danach dürfen
die Gemeinden sofort über die bischöflichen Palais, Pfarrhäuser
und Seminarien verfügen. Allen Kultusdienern in Bezirken ohne Kultusverein
werden die im, Trennungsgesetze noch gewahrten Pensionen und Zuschüsse
entzogen. Die Güter werden sofort den kommunalen und Wohltätigkeitsanstalten
überwiesen. Der unentgeltliche Nießbrauch der Kirchen kann Kultusvereinen,
Vereinen nach dem Vereinsgesetze von 1901 und auch einzelnen Kultusdienern durch
Vertrag überwiesen werden. Der Papst protestierte in einer dritten Enzyklika
vom 6. Januar 1907 gegen diese Verschärfung des Trennungsgesetzes und Beraubung
und Plünderung der Kirche.
Die Verhandlungen zwischen den Bischöfen und der Regierung über die
Nutznießungsverträge zerschlugen sich. Dagegen kam die Regierung
in dem Gesetze vom 28. März 1907 der Kirche ein wenig entgegen und verzichtete
auf die Anmeldung. Was der Klerus gerettet hat, ist also die Benutzung der Kirchen,
aber ohne jede rechtliche Eigenschaft. Nach einem Schreiben Briands vom Dezember
1908 ist es sogar den Gemeinderäten überlassen, ob sie für die
„großen Reparaturen“ der Kirche aufkommen wollen oder nicht.
So sind tatsächlich Tausende von Kirchen in Frankreich der Zerstörung
preisgegeben. Wenn die Verwaltung antiklerikal ist, hat sie es also in der Hand,
das Gebäude seiner Bestimmung zu entziehen. Die Kirchengüter dagegen
sind verloren, Ihren Raub vollendete das Überweisungsgesetz vom 13. April
1908. Die „Priestervereine auf Gegenseitigkeit (Sociétés
mutuelles)“, denen die kirchlichen Pensionskassen und die Meßstiftungen
überwiesen werden sollten, verwarf der Papst in einem Schreiben an die
vier französischen Kardinäle vom 17. Mai 1908.
Die Haltung des Papstes ist sehr verschieden beurteilt. worden. Er selbst hat
in der Enzyklika vom 6. Januar 1907 gesagt: “Wir konnten nicht anders
handeln, ohne Unser Gewissen unter die Füße zu treten, ohne den Eid
zu brechen, den Wir beim Besteigen des Stuhles Petri geleistet haben, und ohne
die katholische Hierarchie, die der Kirche von unserem Herrn Jesus Christus
gegebene Grundlage, zu vergewaltigen. Wir erwarten darum ohne Furcht das Verdikt
der Geschichte. Sie wird sagen, daß Wir, die Augen unwandelbar auf die
höheren Rechte Gottes gerichtet, die Wir zu verteidigen haben, weder die
weltliche Macht demütigen noch eine besondere Regierungsform bekämpfen,
sondern das unantastbare Werk unseres Herrn und Meisters schützen wollten.
Sie wird sagen, daß ...Wir für die Kirche, von der die Kirche Frankreichs
die älteste Tochter und ein integrierender Bestandteil ist, die Rücksicht
auf ihre Hierarchie, die Unverletzbarkeit ihrer Güter und die Freiheit
begehrt haben; daß, wenn man auf Unsere Bitte gehört hätte,
der religiöse Friede in Frankreich nicht gestört worden wäre,
und daß am Tage, wo man diese Bitte hören wird, auch der so wünschenswerte
Friede zurückkehren wird.“
Auch in Portugal führte die neue Republik in durchaus kirchenfeindlichem
Geiste die Trennung von Staat und Kirche durch, und in Spanien, wo der Ministerpräsident
Canalejas mit der Unterdrückung der Klöster und Ordenshäuser
begann , drohte dieselbe Gefahr. Unzweifelhaft besser wurden die Beziehungen
zu Italien. Es bestand einstweilen ein modus vivendi ziemlich friedlicher Nachbarschaft,
der sich ohne Verhandlungen und Vereinbarungen herausbildete.
Die weltliche Herrschaft des Papstes stehe bei Pius X. nicht sehr in Gunst,
hieß es im Anfange
seiner Regierung. Auch in manchen Einzelheiten der kirchlichen Verwaltung wollte
man finden daß sich der Papst “sehr lebhaft als Italiener fühlte
und den italienischen nationalen Interessen nach
Kräften zu dienen bestrebt war“.
Einen neuen Anlaß zur Erörterung der „römischen Frage“
gab aber die unwürdige und geschmacklose Festrede des römischen Bürgermeisters
Nathan bei der Feier des 20. September 1910. Der Papst antwortete mit einem
Schreiben an den Kardinalvikar und forderte die Gläubigen auf, „heiße
Gebete an den Allmächtigen zu richten, daß er sich seiner göttlichen
Braut, der Kirche, annehme, die in so unwürdiger Weise verhöhnt wird
durch immer giftigere Verleumdungen und immer heftigere Angriffe, die in unbestrafter
Vermessenheit von ihren Feinden. gegen sie gerichtet werden“.
Für das politische Leben Italiens wichtig ist die Einschränkung des
Non expedit durch die Pfingstenzyklika an die italienischen Bischöfe „Il
fermo proposito“ 1905 (11. Juni).
„Gewichtige Gründe“, heißt es da, “halten uns davon
ab, von jener Norm abzuweichen, die uns von unseren Vorgängern Pius IX.
und Leo XIII. überkommen ist, wonach in Italien im allgemeinen die Teilnahme
an den Wahlen zum Parlament verboten ist. Jedoch aus anderen, ebenso schwerwiegenden
Gründen, wenn es sich um das höchste Wohl der Gesellschaft handelt,
die auf alle Falle gerettet werden muß, kann es zugelassen werden, daß
in einzelnen Fallen von dem Gesetz dispensiert werde, namentlich wenn ihr erkennt,
daß das Heil der Seelen und die höchsten Interessen eurer Kirchen
dabei auf dem Spiele stehen und ihr um Dispensation einkommt.“
Nicht wenige Katholiken und Geistliche wählten übrigens schon im November
1904 mit dem stillen Einverständnisse des Vatikans. Damals wurde auch die
Bildung einer katholischen Partei in Italien erörtert. Aber der Standpunkt
des Vatikans wurde so formuliert: „Das Fernbleiben von den Wahlen wird
als allgemeine Regel festgestellt. Die Klugheit der Bischöfe kann in einzelnen
Fallen eine Ausnahme gestatten, indem man die Wahlbeteiligung dort erlaubt,
wo die Wahl eines Antiklerikalen ernstlich droht. Eigentliche katholische Kandidaturen
werden jedoch nicht zugelassen. Die Formel heißt: ‚katholische Abgeordnete
- ja; abgeordnete Katholiken – nein’. Indessen, die Bildung von
Blocks in vielen Orten wird diese Ausnahme jetzt häufiger eintreten lassen
als in der Vergangenheit.“ Der Grund war die Absicht, die katholische
Bewegung fest in der Hand zu behalten und der Leitung der Bischofe unterzuordnen.
1909 wurden 24 katholische Abgeordnete gewählt. 1913 lag die Leitung in
den Händen des Verbandspräsidenten der Katholikenvereine, Grafen Gentiloni,
der mit einzelnen konservativen und liberalen Kandidaten taktische Wahlabkommen
abschloß und „weit mehr als der absoluten Mehrheit des Hauses, 328
Abgeordneten von 508, die Grundbedingungen der katholischen Wahlleitung als
mündlichen oder geschriebenen Pakt aufzwingen konnte, um den einzelnen
Kandidaten zum Siege zu verhelfen“.
Die Zahl der rein katholischen Abgeordneten betrug 34. Sehr bezeichnend war
es, daß der katholische Abgeordnete Cameroni am 31. März 1909 in
öffentlicher Kammersitzung die Anerkennung des modernen italienischen Staates
aussprach und Rom als Hauptstadt anerkannte, und daß der Kardinal Capecelatro
in einer Broschüre „In alle Winde proklamierte“, daß
die italienischen Katholiken „in bezug auf das Vaterland, wie es heute
konstituiert ist, alle Pflichten als gute Katholiken, Staatsbürger und
Söhne Italiens erfüllen.“
Die katholische soziale Aktion in Italien, in der sich ein Gegensatz zwischen
den Alten und den Jungen, die nach größerer Beteiligung am öffentlichen
Leben drängten, ausgebildet hatte, suchte Pius X. in dem Motu proprio vom
18. Dezember 1903 neu zu orientieren und stellte aus den Enzykliken Leos XIII.
„Quodapostolici muneris“, „Rerum novarum“, „Graves
de communi“ und einer Instruktion der Kongregation der außerordentlichen
kirchlichen Angelegenheiten vom 27. Januar 1902 neunzehn Leitsätze als
eine Art sozial-politisches Programm zusammen. Die christlichen Demokraten in
Italien sollen „sich der Teilnahme an irgendeiner politischen Aktion,
die unter den gegenwärtigen Umständen aus höheren Gründen
jedem Katholiken untersagt ist, enthalten. Bei der Durchführung ihres Programms
hat die christliche Demokratie die strengste Verpflichtung, dies auch in Abhängigkeit
von der kirchlichen Autorität zu tun, in voller Unterwerfung und im Gehorsam
gegen die Bischöfe und ihre Vertreter. Die katholischen Journalisten und
Autoren sollen in allem, was die religiösen Interessen und die Aktion der
Kirche in der Gesellschaft betrifft, ihren Verstand und Willen den Bischöfen
und dem Papste unterstellen“. Der Gegensatz zwischen den konservativen
und demokratischen Elementen führte aber doch zu einer Krisis im Generalkomitee
der „Opera dei congressi“, und durch ein Rundschreiben des Kardinalstaatssekretärs
wurden nun (Juli 1904) alle Gruppen mit Ausnahme der zweiten (Azione popolare
cristiana o democratico-cristiana) aufgelöst. Geistliche sollen nur mit
Genehmigung des Bischofs zugelassen werden. Auszuschließen sind solche
Geistliche und Laien, die wegen ihrer minder korrekten Ansichten über die
christlich-soziale Tätigkeit, als Anhänger und Verbreiter unheilvoller
Neuheiten, als wenig eifrig in der Verteidigung der Absichten und Rechte des
Heiligen Stuhles oder als wenig aufrichtig in der Befolgung der päpstlichen
Weisungen bekannt sind. Gegen die „autonome Bewegung“ unter dem
Geistlichen Romolo Murri, die eine eigene, selbständige, statutengemäß
nicht konfessionelle Partei erstrebte, richtete der Papst am 1. März 1905
eine energische Verurteilung. Murris Meinung, die Kompetenz des Papstes und
der Bischöfe erstrecke sich nicht auf die bürgerlich-praktische Sphäre,
weist er entschieden zurück. An dem festen Willen, die katholische Aktion
der kirchlichen Autorität unterzuordnen, hielt er auch in der Pfingstenzyklika
von 1905 “Il fermo proposito” fest.
Auf ihrer Grundlage ist dann durch den Delegiertenkongreß der 4200 katholischen
Vereinigungen in Florenz im Februar 1906 die „Unione cattolica popolare
italiana“ nach dem Muster des deutschen “Volksvereins” begründet
worden. Das Statutbesagt, daß die Unione bestimmt ist, die gesellschaftliche
Ordnung und die christliche Kultur nach den Lehren der Kirche und auf der Grundlage
der Enzyklika über die Arbeiterfrage und die katholische Aktion zu verteidigen
und bei ihren Mitgliedern zu verwirklichen und das soziale, bürgerliche,.
moralische und religiöse Gewissen des italienischen Volkes zu erziehen.
Sie “schließt in einem Bunde die verschiedenen Bezirkskomitees für
die Wahlen (Unione elettorale) und die verschiedenen Einrichtungen und Verbände
sozialökonomischen Charakters, zumal die verschiedenen blühenden Standesverbände,
zusammen (Unione economica sociale)“.
Gegen die von den Murristen gegründete “Lega democratica nazionale”
richtete sich die scharfe Enzyklika vom 28. Juli 1906 an die italienischen Bischöfe.
Der Beitritt wird allen Priestern unter Strafe der Suspendierung und den angehenden
Klerikern unter Strafe des Ausschlusses von den Weihen verboten.
Auf die Erziehung und die Erzieher des Klerus sollen die Bischöfe peinlichst
achten und gegen alle gefährlichen Neuerungen rücksichtslos einschreiten.
Den Seminaristen ist sogar die Lektüre der politischen Tageszeitungen untersagt.
Murri selbst wurde im März 1909, nachdem er zwei Jahre „pertinaciter“
in der Suspension verharrt hatte, mit der großen Exkommunikation belegt.
In ähnlicher Weise wie in die italienische hat der Papst dann auch in die
französische „christlich-demokratische Aktion” eingegriffen
durch das Schreiben an den französischen Episkopat über den “Sillon”
(2. August 1910).
Der “Sillon”, gegründet im Jahre 1900 von Marc Sangnier, ist
eine Organisation der heranwachsenden katholischen Generation, um sie zu sozialer
Tätigkeit im Geiste des Christentums und in demokratischen Formen zu erziehen.
Seine Aufgabe sah er, den Weisungen Leos XIII. folgend, in der Versöhnung
der republikanischen mit der christlichen Idee.
Der Papst sprach zwar in väterlichem Tone und mit warmer Anerkennung von
der wackeren Jugend und ihren begeisterten Führern, beklagte aber, daß
sie nicht genügend historisch, philosophisch und theologisch gebildet an
die schwierigen sozialen Probleme herangetreten seien und sich nicht hinreichend
gegen die liberalen und protestantischen Beeinflussungen auf dem Gebiete der
Doktrin und des Gehorsams gewappnet hätten.
Sehr bemerkenswert ist der Satz: „Wenn ihre Doktrinen auch völlig
frei von Irrtümern waren, würde es doch schon eine sehr schwere Verfehlung
gegen die katholische Disziplin sein, daß sie sich hartnackig der Leitung
jener entziehen, die vom Himmel die Mission empfingen, die Einzelindividuen
und die Gesellschaften auf dem schmalen Wege der Wahrheit und des Guten zu leiten.
„Der Katholizismus des „Sillon“, der „früher zu
so schönen Hoffnungen berechtigte, bildet nichts weiter mehr als einen
armseligen Zufluß zu der großen Bewegung der organisierten Apostasie
aller Länder zur Aufrichtung einer universellen Kirche, die weder Dogma
noch Hierarchie haben wird, weder Regeln für den Geist noch Zügel
für die Leidenschaften, und die unter dem Vorwande der Freiheit und Menschenwürde,
wenn sie zu triumphieren vermöchte, in der Welt die legale Herrschaft der
Gewalt und List und die Unterdrückung der Schwachen und jener, die leiden
und arbeiten, herbeiführen würde“. Aus diesen und anderen Gründen
löste der Papst den Gesamtverband auf und unterstellte die kleinen Vereine,
in Diözesanverbänden und mit dem Namen „Katholischer Sillon“
den Bischöfen. Der Sillon hat sich sofort unterworfen.
In Deutschland griff der Papst in demselben Sinne in die Frage der Arbeiterorganisationen
ein. Er gab den rein katholischen Organisationen den Vorzug und wandte den Gefahren,
die sich aus dem Zusammenarbeiten in interkonfessionellen Vereinigungen ergeben
können, seine Sorge zu. Seit dem Erlaß der Enzyklika „Singulari
quadam“ vom 24. November 1912 wogte der Streit zwischen der „Berliner“
und der „Kölner“ Richtung hin und her.
Schließlich erklärte Pius X. am27. Mai 1914 im öffentlichen
Konsistorium noch einmal, „daß die gemischten Vereinigungen, die
Bündnisse mit den Nichtkatholiken zum Zwecke der materiellen Wohlfahrt,
unter gewissen , genau bestimmten Bedingungen erlaubt sind, daß der Papst
aber jene Vereinigungen von Gläubigen vorzieht, die unter Beiseiteschiebung
jeder menschlichen Rücksicht die Ohren geschlossen halten gegen jede Lockung
oder Drohung“. Den badischen Zentrumsführer Wacker traf das Verdikt
der Indexkongregation wegen seiner Schrift „Zentrum und kirchliche Autorität“
(Rede auf der Essener Tagung vom 15. Februar), worin die politische Unabhängigkeit
des Zentrums stark betont wurde.
Den Weltkrieg hatte Pius X. langst kommen sehen. „La guerra che viene“
war ein oft wiederkehrender Ausdruck in seinen Gesprächen. Als der Krieg
dann wirklich ausbrach, erschütterte ihn dies aufs tiefste. In einem apostolischen
Schreiben vom 2. August 1914 an alle Katholiken des Erdkreises gab er seinem
Kummer Ausdruck und lenkte die Herzen zu Christus, dem Friedensfürsten
und mächtigsten Vermittler zwischen Gott und den Menschen.
„Ich würde gern mein Leben hingeben, wenn ich damit den Frieden Europas
erkaufen konnte,“ sagte er zum Grafen Macchi. Das niederdrückende
Gefühl, daß er das Sterben von Millionen nicht verhüten konnte,
hat seinen eigenen Tod beschleunigt.
Am 20. August 1914 starb er nach kurzer Erkrankung an Lungenentzündung.
Der Arzt Marchiafava erklärte: „Ich habe noch niemand so verklart
aus der Welt scheiden sehen.“ In seinem Testament aber hieß es:
„Arm bin ich geboren, arm habe ich gelebt, arm will ich sterben.“
Er wünschte nicht einbalsamiert zu werden und wollte kein prunkvolles Grabmal.
In den Grotten von St. Peter, an schmuckloser Stätte, wurde er beigesetzt.
So war Pius X. sich und seinem Programm treu geblieben bis in den Tod.
Manche Unruhe, Schwierigkeit und Verwicklung hatte dieser tapfere Soldat Christi,
der nicht links und nicht rechts sah und von diplomatischen Rücksichten
und Feinheiten nichts wußte, hervorgerufen. Aber einen persönlichen
Feind hatte er nicht. In der Anerkennung seiner christlichen und priesterlichen
Tugenden, seiner unermüdlichen Tätigkeit und Pflichterfüllung
war alle Welt einig. Seine Güte, Liebenswürdigkeit, Wohltätigkeit
und Schlichtheit hatten ihm die Herzen aller gewonnen, die ihm naher getreten
waren.
Der Heiligsprechungsprozeß ist eingeleitet.
Daß mit seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl ein neuer Abschnitt
der Kirchengeschichte begonnen habe, ist eine jener Obertreibungen, mit denen
manche so eilig sind. Aber für das innerkirchliche Leben ist sein Pontifikat
ohne Zweifel besonders bedeutsam gewesen, und mit dem neuen kirchlichen Gesetzbuche
bleibt der Name Pius X. untrennbar verbunden.
Pius X. (1903-1914) ist der Papst ernsthafter Erneuerung des innerkirchlichen Lebens und der kirchlichen Verfassung und Verwaltung gewesen Nach einem Portraet von Momme Nissen.
Inneres der Sixtinischen Kapelle, in der seit 1878 die feierlichen Papstwahlen
stattfinden.
Die Sixtinische Kapelle wurde unter Papst Sixtus IV. von Giov. de Dalci (1473-81)
erbaut; sie verdankt ihren Ruhm dem großartigen Freskenschmuck, mit dem
sich die größten Künstler der Renaissance hier verewigt haben.
Die Gemälde Michelangelos im Deckengewölbe und an der Altarwand zählen
zu den größten Kunstwerken aller Zeiten. Bedauerlicherweise stören
die Chorschranken im Bilde sehr den gewaltigen Gesamteindruck.
Inneres der Sixtinischen Kapelle, hergerichtet für ein Konklave; an den Seitenwänden befinden sich die Throne der Kardinäle. Ist einer der Kardinäle zum Papst erwählt, dann werden die Baldachine über allen Thronsesseln heruntergeklappt, nur der über dem Sitze des neugewählten Papstes bleibt geöffnet.
Stimmzettel wie solche bei der Wahl eines Papstes üblich sind. Der bei
der Wahl des Papstes verwendete Stimmzettel ist seit langer Zeit der gleiche
geblieben. Er ist in drei Felder eingeteilt. Das obere ist für den Namen
des Abstimmenden bestimmt: Ego Card. ...Dieser Teil wird zur Hälfte umgebogen
und mit Siegellack geschlossen: so ist der Name des Wählers verdeckt. Auf
der Rückseite steht das lateinische Wort Nomen. Im mittleren Felde stehen
die gedrückten Worte: Eligo in Summum Pontificem R. Dominum Dominum meum
Card. ... (Ich wähle zum Papst den Hochwürdigsten Herrn, meinen Herrn
Kardinal ...) woneben der Name des Gewählten gesetzt wird. Zur Kontrolle
wird im unteren Felde ein beliebiges Motto (meist der Heiligen Schrift entnommen)
oder ein anderes Erkennungszeichen angebracht. Auch dieses untere Feld wird
zur Hälfte umgebogen und versiegelt, so daß auf der Rückseite,
wie die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt, das lateinische Wort Signa
(Kennzeichen) zum Vorschein kommt. Auf dem Zettel ist also bloß der Name
des Gewählten ersichtlich. Das Feld mit dem Namen des Wählers wird
erst bei der Kontrolle aufgemacht. Die Kontrolle findet aber nur nach dem Wahlgang,
aus dem ein Papst hervorgegangen ist, statt. Es soll festgestellt werden, daß
der Gewählte nicht für sich selber gestimmt hat; in diesem Fall würde
die Wahl für ungültig erklärt werden. Die absolute Stimmenmehrheit
genügt zur Papstwahl nicht: der Gewählte muß zwei Drittel aller
Stimmen auf sich vereinigen!
Ein jeder Wahlakt wird von einem engeren Ausschuß, dem sogenannten „antiscrutinio“,
vorbereitet. Alle Nichtkardinäle müssen dann die Sixtinische Kapelle
verlassen, und jetzt erfolgt nach Schließung der Türe die Abgabe
der Stimmzettel. Die Kardinäle verlassen in der Reihenfolge ihres Amtsalters
ihre baldachingeschmückten Ehrensessel und begeben sich an den Altar, auf
dem
ein Kelch zur Aufnahme der Stimmzettel bereitsteht. Die Kardinäle treten
einzeln zum Altare, knien zuerst zu einem kurzen Gebet nieder, und indem sie
dann den Stimmzettel in den Kelch legen, sprechen sie die Eidesformel: „Ich
rufe Christum den Herrn zum Zeugen an, daß ich den wähle, von dem
ich vor Gott glaube, daß er gewählt werden soll.“ Diese Zeremonie
unter den Augen des göttlichen Richters, der im Bilde Michelangelos an
der gegenüberliegenden Wand der Kapelle herabschaut, ist von tief ergreifendem
Ernste.
Kardinal Rampolla, der langjährige Staatssekretär Leos XIII., gegen dessen Wahl zum Papste der Kaiser von Österreich im Konklave feierlichen Einspruch erheben ließ.
Erinnerungsmünze an den Eucharistischen Kongreß in Venedig, der im August 1897 unter dem Patriarchen von Venedig, Kardinal Sarto, dem nachmaligen Papste Pius X., stattfand.
Die Stiftungsmedaille des päpstlichen Bibelinstitut in Rom Das päpstliche Bibelinstitut in Rom ist im Jahre 1910 eröffnet worden, nachdem Papst Pius X. mit apostolischem Schreiben vom 7. Mai 1909 den Aufgabenkreis dieser wichtigen neuen Lehranstalt klar umschrieben hatte: dieses internationale Studienhaus solle künftigen Professoren der biblischen Disziplinen eine den gesteigerten Bedürfnissen der modernen Zeit entsprechende Ausbildung sichern. Neben den vielseitigen Gebieten der gesamten Bibelwissenschaft im engeren Sinne sollen alle Gebiete der praktischen Exegese, der Archäologie, Geschichte, Geographie und Philologie in diesem päpstlichen Institute, das unmittelbar dem apostolischen Stuhle untersteht und nach seinen Vorschritten und Bestimmungen geleitet wird, gelehrt werden.
Das päpstliche Bibelinstitut an der Piazza Pilotta in Rom
Die Vorhalle zum Museum des päpstlichen Bibelinstitutes
Papst Pius X. nach einer Aufnahme von F. de Federicis, päpstl. Hofphotographen in Rom.
Die Handschrift Pius’ X., nach einem Schreiben, das der Papst im August 1903 an die in Bergamo erscheinende Zeitschrift „Pro Familia“ richtete.
Pius X. in den letzten Jahren seines heiligmäßigen Lebens
Schon 1920 wurde von Papst Benedikt XV. der Heiligsprechungsprozeß Pius
X. eingeleitet, so daß in absehbarer Zeit mit seiner Erhebung auf die
Altäre zu rechnen ist.
Das Grabmal Pius’ X., so wie dieser große Papst es sterbend gewünscht hatte, „ganz einfach und schmucklos“, in den Grotten von St. Peter in Rom.
Letzte Bearbeitung 14.08.2007